Skip links

Wie können Wirtschaftsnetzwerke heute nachhaltige gemeinsame Entscheidungen treffen?

Wie können regionale oder internationale Wirtschaftsnetzwerke heute nachhaltige gemeinsame Entscheidungen treffen – und welche Lösungen bieten historische Einigungsmechanismen der Hanse für dieses Spannungsfeld zwischen Kooperation und Konkurrenz?

Die Hanse war kein Staat, sondern ein lockerer wirtschaftlicher Interessenverbund von Städten und Kaufleuten, der dennoch über mehrere Jahrhunderte hinweg gemeinsame Entscheidungen traf. Diese gemeinsame Wirtschaftspolitik stellte die Grundlage für den erfolgreichen Handel einzelner Wirtschaftsakteure. Zentrale Orte dieses Interessenausgleichs waren die hansischen Tagfahrten. Dort trafen Gesandte der gleichberechtigten Städte zusammen, um Konflikte zu bearbeiten, gemeinsame Regeln zu formulieren und wirtschaftliche Interessen abzustimmen. Tagfahrten boten einen strukturierten Rahmen, in dem allmählich gemeinsame Normen, Verfahren und eine kollektive Erwartungssicherheit entstanden.

Die Tagfahrten fungierten als zentrale Kommunikationsknoten in einem weit verzweigten Netz regionaler und überregionaler Versammlungen. Entscheidungsfindung war dabei kein linearer Prozess: Delegationen verhandelten in unterschiedlichen Räumen, von öffentlichen Sälen bis hin zu Wirtshäusern und nutzten vielfältige Instrumente wie vertrauliche Gespräche und flexible Gruppenbildungen, um Kompromisse zu ermöglichen und Konsens zu erzeugen. 

Aus wirtschaftshistorischer Perspektive waren diese Entscheidungsforen essenziell: Sie ermöglichten es den Städten, überregionale Herausforderungen wie Handelssperren, Seeraub oder Konkurrenz zwischen Handelsplätzen gemeinsam anzugehen. Sie halfen auch Markaustausch zu regulieren und zugunsten der Wirtschaftsakteure zu gestalten. Durch diese Form der deliberativen Kooperation entstanden nachhaltige, kollektiv getragene Lösungen – ein Prozess, der eher der Konfliktbearbeitung als der Durchsetzung verbindlicher Regeln diente.

Die Hanse nutzte damit Mechanismen, die moderne Netzwerke weiterhin prägen: horizontale Aushandlung, gegenseitige Abhängigkeit, flexible Koalitionen und eine gemeinsame, wenn auch fragile, Identität. Die überzeitliche Relevanz hansischer Entscheidungsprozesse liegt in ihrer Fähigkeit, in einem heterogenen und konkurrenzgeprägten Umfeld dennoch stabile Kooperationsformen hervorzubringen. Solche städtischen Versammlungen sind dabei Teil einer gesamteuropäischen Kultur politischer Aushandlung, die trotz regionaler Unterschiede ein gemeinsames Prinzip teilten: Eliten trafen sich, um zu „reden“, „antworten“ und „ratslagen“ – ein Kern demokratischer Konsultationsformen, der bis in die Gegenwart reicht. Zugleich ist wichtig anzuerkennen, dass die Kultur und Rahmenbedingungen der Zeit eine Übertragung in unsere heutige Zeit nur bedingt zulassen.  

Damit bietet die Hanse ein historisches Labor für die Frage, wie Netzwerke ohne zentrale Autorität dennoch zu wirtschaftspolitischen Entscheidungen gelangen – ein Thema, das für heutige Wirtschaftsnetzwerke, Städteverbünde oder internationale Kooperationen hochaktuell ist.

zur Anmeldung

Must-Read-Literatur

  • Huang, Angela/Christina Link (Hg.). 2024. Kollektive Willensbildung in der Vormoderne: Hansetage im Vergleich (Hansische Studien, Band 31). Wismar.

  • Sternfeld, Felicia (Hg.). 2018. Der Konsens: Europas Kultur Der Politischen Entscheidung. Begleitband zur Sonderausstellung „Der Konsens. Europas Kultur der politischen Entscheidung“ im Europäischen Hansemuseum Lübeck, 10. Mai-8. Juli 2018. Lübeck. (kostenfrei über die FGHO bestellbar)

Weiterführende Literatur

  • Hammel-Kiesow, Rolf. 2016. “Die Politik Des Hansetags: Möglichkeiten Und Grenzen Gemeinsamer Politik Am Beispiel Des Nordatlantikhandels.” In: Ders. (Hg.), Hansischer Handel im Strukturwandel vom 15. zum 16. Jahrhundert (Hansische Studien, Band 25). Trier, 183–208.

  • Henn, Volker (Hg.). (2001). Die Hansischen Tagfahrten zwischen Anspruch und Wirklichkeit (Hansische Studien, Band 11). Trier.

  • Höhn, Philipp. 2022. “Entscheidungsfindung und Entscheidungsvermeidung in der Hanse. Das Beispiel der Sunddurchfahrt um 1440.” In: Wolfgang E. Wagner (Hg.), Entscheidungsfindung in Spätmittelalterlichen Gemeinschaften. Göttingen, 91–137.

  • Iwanov, Iwan. 2016. Die Hanse im Zeichen der Krise: Handlungsspielräume der politischen Kommunikation im Wandel (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte, Band 61). Köln.

  • Hanserezesse. Die Recesse und anderen Akten der Hansetage, 26 Bde., Leipzig u. a. 1870–1970. (Quellenedition mit historischen Dokumenten)

Weiterführende Informationen und digitalisierte Literatur finden sich unter: www.hansischergeschichtsverein.de

Partnerinstitut

Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums (FGHO) am Europäischen Hansemuseum Lübeck

Das Thema wird betreut von

Dr. Angela Huang

Ich bin Hansehistorikerin und leite seit 2017 die Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums am Europäischen Hansemuseum Lübeck. Studiert habe ich in Erlangen, für die Doktorarbeit bin ich nach Kopenhagen gegangen. Nach Postdocs dort und in London bin ich schließlich nach Lübeck gekommen.

Schon während meines Studiums hat mich die Hanse fasziniert – als ein einzigartiges Phänomen freiwilliger Zusammenarbeit, das über Jahrhunderte hinweg große Teile Nordeuropas prägte. Besonders spannend finde ich die Frage, wie dieses weit verzweigte Netzwerk durch gemeinsame Regeln, Tagfahrten und Verhandlungen funktionsfähig blieb.

Neben der Geschichte des hansischen Versammlungswesens beschäftige ich mich intensiv mit der Textilwirtschaft des Spätmittelalters sowie mit Fragen der Stadt- und Wirtschaftsgeschichte. In den letzten Jahren habe ich zudem ein starkes Interesse für digitale Methoden entwickelt, insbesondere im Bereich der Handschriftenerkennung und digitalen Textanalyse. Diese Ansätze eröffnen neue Zugänge zu Quellen und neue Perspektiven für die Forschung.

Ich bin seit 2005 Mitglied im Hansischen Geschichtsverein, dort seit 2017 Redaktionsmitglied der Hansischen Geschichtsblätter und seit 2020 Vorstandsmitglied. Außerdem engagiere ich mich im Netzwerk Kunst und Kultur der Hansestädte, im Vorstand der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte sowie in weiteren Fachverbänden.

Dr. Bart Holtermann

Bart Holterman ist Historiker. Seit Juni 2024 arbeitet Bart Holterman an der FGHO. Er arbeitet zu Themen der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wirtschaftsgeschichte mit Schwerpunkten im nordatlantischen Raum (Island, Färöer, Orkney und Shetland), in den Digital Humanities und der historisch-geografischen Forschung im Hanseraum.

Lust mitzumachen? Dann meldet euch hier an:

Die Anmeldung für das YES! 2026 ist für Schülerteams ab dem 24. November möglich. Schulteams ab der 10. Klasse können am Wettbewerb teilnehmen.

zur Anmeldung